„Temporal Gestures“ ist eine fortlaufende Serie von Mini-Performances, die ich seit 2021
allein vor und für die Kamera realisiere. In “Temporal Gestures” bestimmt das Blickfeld einer
statischen Kamera die Szene. In diesem Bildraum nehme ich einminütige Posen (“temporal
gestures” deutsch: zeitliche Gesten) ein. Das Halten, aushalten, wechseln und erneute
halten einer Pose, schafft mir einen Ruhemoment, der meinem hektischen, städtischen
Alltag als alleinerziehender Mutter eines Kindes mit besonderem Förderbedarf, aufgerieben
zwischen Lohn- und Sorgearbeit diametral entgegensteht.
In der Landschaft zu sein, sei es in einem Brandenburger Naturreservat (Liegen 2022) oder
der Andenregion Chile (Fliegen 2022), hier bin ich allein auf mich gestellt und geworfen.
Allein mit mir, der Natur und der Kamera als Zeugen. Ein fortlaufender Moment der Ruhe
und des Innehaltens vor laufender Kamera. Das Gewahrwerden der Pose, das
Gewahrwerden des Köpers, das Gewahrwerden der umgebenden Geräusche der Natur. Das
Gewahrwerden des Atems. Das Durchatmen. Das Wechseln der Pose. Die Ruhe in der
Pose. Mein Ich als liegende Figur in der Weite der Brandenburger Landschaft. Die Stärke
und Selbstermächtigung die ich in der stehenden Figur vor der monumentalen Bergwand der
chilenischen Anden empfinde. Diese Figur scheint fliegen zu wollen. Die monumentale
Bergwand ist mein Gegenüber. Sie gibt nur einen kleine Ausschnitt auf den Himmel frei. An
der Gebirgskante ein kleine weisse Wolke, die auf das Dahinter verweist. Ein zeitloser
Moment, in dem mein weiblicher Körper in die Landschaft eingebettet ist.
Meine “Temporal Gestures” (Temporale Gesten) sind unprätentiöse Posen einer Künstlerin
im Widerstand gegen den patriarchalen, neoliberalen, kapitalistischen Zeitgeist. Die Serie
zeigt mich, die Künstlerin (und Mutter), losgelöst aus meinem Umfeld, Kontext und Alltag,
befreit von Sorgeverpflichtungen für das Kind, dem ständigen Verfügbarkeitsanspruch der
Stadt und dem kapitalistischen Zwang zur permanente Selbstoptimierung und Produktivität.
Meine “Temporal Gestures” sind eine künstlerische Auseinandersetzung mit Jenny Odells
politischen Manifest “Nichts Tun” (2021). Denn nur über bewusste Formen des Nichtstuns
finden wir heute noch zu uns selbst.
Magdalena Kallenberger, Mai 2022.